Aussteigen als Familie

Interview: Vom Glück geführt, vom Gefühl geleitet

27.01.2016

Diana, Bob und Ella – eine Familie aus Berlin entscheidet sich für ein neues Leben. Sie brechen im April 2015 aus ihrem gewohnten Umfeld aus, um ohne bestimmtes Ziel mit einem Wohnwagen quer durch Europa zu reisen.

Sie lachen in die Kamera und strahlen Zufriedenheit aus. Immer wieder berühren sie sich unbewusst. Intuitiv antworten sie dasselbe. Sie gehören zusammen, befinden sich in einer Balance.

2007 lernen sich die 28-jährige Diana und Bob, 26, bei einer Party kennen. Ursprünglich kommt Diana aus Erfurt; mit 19 ging sie dann nach Berlin, um dort zu arbeiten. Bob ist damals erst seit einem Jahr in Berlin. Ihm wurde sein Heimartort im Süden Brandenburgs zu klein.

Sie lieben es, die Berliner Nächte durchzutanzen, auf Festivals zu gehen, immer unterwegs zu sein oder von Freunden Besuch zu haben. Am liebsten so viele, dass man vor lauter Menschen das Parkett ihrer WG nicht mehr sehen kann. Hin und wieder gehen sie in die Oper oder machen Ausflüge. Diana war „in love mit großen Städten: Paris, New York, Rom, London, Rio die Janeiro, Barcelona, Amsterdam. Die Sprache nicht verstehen, planlos am Airport stehen, anderes Geld, andere Mode, anderes Essen“. Doch sie kehrt immer wieder zurück ins gewohnte Berlin, wo sie ihre Umgebung kennt, Freunde und Familie in der Nähe sind.

Um sich dieses Leben leisten zu können, arbeiten sie viel. Diana ist medizinisch-technische Radiologieassistentin in einem Berliner Krankenhaus. Bob hat sein eigenes Cateringunternehmen und leitet zudem freiberuflich verschiedene Kochschulen.

 

Monemvasia/Griechenland-Blick von der Bergstrasse zu unserem Haus
Monemvasia/Griechenland-Blick von der Bergstrasse zu unserem Haus

 

 

 

Immer aktiv, immer auf Achse, immer viel um die Ohren

2009 starten sie ihre erste gemeinsame große Reise. Sie dauert eineinhalb Jahre und führt sie durch Kalifornien, auf die Cook Islands, nach Neuseeland, Hongkong, Thailand, Malaysia, Indonesien, Bali und Russland. Sie genießen ihre Freiheit.

Nach ihrer Rückkehr „zogen wir an den Rand von Berlin; in den grünsten Bezirk Köpenick in eine kleine Hausgemeinschaft mit sechs tollen Menschen“. Durch die Reise ist ihnen die Stadt zu schnell, groß und zu viel geworden. Die Schnelllebigkeit und Verbindlichkeiten machen es ihnen nicht einfach. „Nur langsam kamen wir wieder an.“ Es dauert ein Jahr bis sie sich wieder wohlfühlen.

2012 kommt Ella zur Welt. Gemeinsam machen sie Ausflüge, gehen wandern und genießen ihren Garten. „Wir hatten viel Besuch. Es war immer was los im Haus.“

Auch Diana wechselt nun von einer Festanstellung in die Freiberuflichkeit, um flexibler sein zu können. Neben ihrem Job macht sie eine Ausbildung zur Ernährungsberaterin im Bereich „Vitale Rohkost“. Das führt dazu, dass ihr Leben immer organisierter und strukturierter wird: Damit sie Kind, Selbstständigkeit, Partnerschaft, Freunde, Familie und Freizeit unter einen Hut bekommen, müssen sie alles ganz genau koordinieren. Sie verbringen die meiste Zeit damit, den Familienalltag zu planen. „Wir lebten in einer Blase des Organisierens.“ Ihr Leben entwickelt sich zu einem Leben in einer zwei-zwei-Beziehung: entweder Diana und Ella, oder Bob und Ella. Das gemeinsame Leben wird immer weniger. Sie merken, dass sie sich nicht mehr wohl in ihrem Leben fühlen. Ihnen fehlt etwas; das ständige Planen und Koordinieren reibt sie auf. Während sie auf ihrer Weltreise nur auf sich schauen und frei leben und entscheiden konnten, ist ihr Leben nun von Druck und Stress geprägt. Partnerschaft und die gemeinsame Zeit mit Ella bleiben auf der Strecke. Ein Miteinander gibt es nur noch selten. „Wir hatten das Gefühl, uns zu verlieren. Wir mussten weg.“

 

 

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„So gings los. Ohne Route, ohne Plan. Einfach los.“

Nach und nach konkretisieren sich ihre Wünsche nach einem anderen Leben: „Wir wollen unsere Tochter aufwachsen sehen, mehr Zeit mit ihr und uns haben, Menschen und Dinge kennenlernen, die wir vorher nicht kannten. Das Leben als Solches leben. Frei von Konventionen und Grenzen.“ In ihren Köpfen entwickelt sich die Sehnsucht nach einer Reise ohne Zeitlimit und Ziel. „Vielleicht nur drei Monate. Vielleicht viele Jahre.“

Manche Freunde schmunzeln nur und sprechen ihnen Mut zu. „Einige können es nicht verstehen, wie man alles aufgeben kann, um ohne festes Einkommen und ohne einen festen Wohnsitz zu leben.“ Die Familien von Diana und Bob hoffte eigentlich darauf, „dass wir in eine schöne Drei-Raum-Wohnung ziehen, wo die Omas sich auch wohlfühlen.“

Diana und Bob verkaufen alles über Ebay. Es muss viel organisiert werden: Behalten oder verkaufen? Einlagern oder mitnehmen? Pässe beantragen. Versicherungen klären. Abschiedsparty organisieren. Es wird noch stressiger. Dann das große Abschiedsfest: Es kommen Freunde von überall her. Sie feiern die Nacht durch und genießen die letzte gemeinsame Party für eine unbestimmte Zeit. „Ein berauschendes Fest.“

 

„Ein Traum von uns“

Auf ihrer Reise leben sie ihren eigenen Rhythmus. Sie können sich aussuchen, mit welchen Menschen sie sich umgeben, an welchen Orten sie bleiben oder ob sie lieber weiterziehen. Sie haben Zeit für lange Gespräche, für die in Berlin nie Zeit war. „Zusammen als Familie reisen. Es gibt für uns nichts Schöneres. Immer, wenn wir unterwegs sind, sind wir ein Team.“

„Schön, einfach, manchmal hart, und absolut anders. Abwechslungsreich.“ So empfinden Diana und Bob ihr Leben auf Rädern. Sie sind glücklich, auch wenn das Leben in Freiheit nicht nur Spaß mit sich bringt. „Die Freiheit ist wie eine große Leinwand. Das Leben darauf müssen wir ganz alleine kreieren. Das ist manchmal hart. Im alten Leben war alles klar. Die Abläufe waren routiniert.“ Jetzt müssen sie an jedem neuen Ort von vorn beginnen: Wo gibt es das beste Essen? Wo gibt es Orte für den Wohnwagen? Wo gibt es Arbeit? Je nach Ort ist das nicht immer einfach. Vor allem für Ella ist das schwierig, weil Kinder ihre Routine brauchen. „Anfänglich war das Autofahren hart für sie. Jetzt langsam ist sie es gewohnt. Manchmal schnattert sie in den Tag, dass sie glücklich ist. Manchmal gibt es Tage, da ist sie traurig und erwähnt wörtlich, dass Oma zu weit weg ist, um zu kuscheln.“ Bis Ella zur Schule muss, dauert es noch. „Wir hören uns hier und da schon mal um und wissen, in welchen Ländern keine Schulpflicht besteht. Die kämen für ein weiteres Leben in Frage. Aber das ist alles noch offen.“

Vor allem an schwierigen Tagen „kommt oft die Frage: Was machen wir hier eigentlich? Warum das Ganze?“ Und doch sind es die vielen schönen Momente auf ihrer Reise, die überwiegen und die sie immer weiterziehen lassen.

Mit Berlin verbindet Diana heute eine Hassliebe. „Wenn ich da bin, nerven mich die ganzen neuen Yuppies, die neuen Gebäude. Das neue Bild von Berlin. Doch wenn ich weg bin, vermisse ich meine Lieblingsecken: Clärchens Ballhaus, der olle Bahnhof Zoo, die kleinen süßen Bars und Rohkost-Restaurants, das offene Leben, die Spree und meine Freunde.“ „Einfach mal mit nem Kumpel am Ostkreuz sitzen und Bier trinken. Kieken eben“, meint Bob.

 

 

 

Ella & Diana
Ella & Diana

 

„Wir lieben das Leben und nehmen es, wie es kommt.“

Durch die Reise ist ihr Vertrauen in das hier und jetzt gewachsen. Sie machen sich keine großen Sorgen mehr um die Zukunft und haben ihre Ängste über Schlafplätze, Jobs und Geld verloren. Diana ist selbstsicherer geworden. „Ich war früher sehr ängstlich und zurückhaltend. Jetzt habe ich ein wachsendes Vertrauen in mich und meinen Weg. Darauf kommt es an.“

Reisen bedeutet für Bob und Diana „eben nicht Urlaub machen, sondern mit den Dingen, die uns begegnen umzugehen und sie zu genießen“. Sie können die Welt nun mit ihren eigenen Augen entdecken, ohne eingeschränkt zu sein. Sie erleben unvergessliche Momente: In der Türkei leben sie drei Wochen in einem Haus ohne Strom und fließendes Wasser. Stattdessen kochen sie mit Sonnenenergie und waschen sich im Fluss. In Ungarn helfen sie einem Helpx-Host beim Aufbau seiner kleinen Farm. Zusammen mit anderen Reisenden. Es entsteht eine Gemeinschaft; ein Gefühl einer großen Familie. Gemeinsam genießen sie das einfache Leben. „Die Begegnungen machen es, denke ich. Immer wieder sehen wir andere Lebensprojekte und werden durch unsere Hilfe ein Teil davon.“

Sie finanzieren sich ihre Reise zum großen Teil von Erspartem und verzichten auf Luxus. Hin und wieder arbeiten sie für Verpflegung und Unterkunft für verschiedene Projekte an unterschiedlichen Orten. „Die jetzige Idee ist, im Sommer in Deutschland, Österreich oder der Schweiz arbeiten zu gehen, um dann die anderen sechs Monate wieder reisen zu können. Aber Geld ist eben nur Geld; und kommt schon, wenn man es braucht.“

Diesen Winter verbringen sie in Griechenland in einem Steinhaus in den Bergen. Um Geld zu verdienen, helfen sie beim Ernten von Oliven. Bis es sie weiterzieht an einen neuen Ort, mit neuen Menschen, Begegnungen, und Entdeckungen. „Go with the flow.“ Einen Plan, wohin ihre Reise führt, gibt es nicht.

 

 

 

Verena Mönig

Medienmanagement (Master)
Eingeschrieben seit: Wintersemester 2015/2016


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